Die jährliche Veranstaltungsreihe „Menschen in Europa“ der Mediengruppe Bayern feierte in diesem Jahr ihr 28-jähriges Bestehen. Im Medienzentrum der Mediengruppe Bayern in Passau stand dieses Mal an einem Abend das hochaktuelle Thema „Krisen, Kriege und kein Ende – Europa im Umbruch“ im Fokus. Als Gast begrüßte die Veranstaltungsreihe Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister (SPD), unter der Moderation des Journalisten Theo Koll.
Zum ersten Mal wurde die Veranstaltung in Kooperation mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen ausgerichtet. Dr. Jürgen Linden, Vorsitzender des Karlspreisdirektoriums, stellte dabei eine vielversprechende Idee für die Zukunft vor: Im kommenden Jahr sollen 20 Jugendkarlspreisträger nach Passau eingeladen werden, um gemeinsam mit Schülern und Studenten aus der Region über die Zukunft Europas zu diskutieren.
Mehrere Redner betonten, dass die Verteidigung von Demokratie und Freiheit längst nicht mehr allein mit Worten oder Handelsbeziehungen möglich sei. Angelika Diekmann, Verlegerin der Mediengruppe Bayern und Initiatorin von „Menschen in Europa“, erinnerte an die Lektionen des Zweiten Weltkriegs. Ohne die ausgestreckte Hand der europäischen Nachbarn nach 1945 wäre die Europäische Union, wie wir sie heute kennen, undenkbar. Doch sie sprach auch davon, dass man sich nie zu sehr in Sicherheit wiegen darf. Wir hätten zu sehr an das Gute geglaubt.
Pistorius selbst sprach in seiner anfänglichen Rede eindringlich über die aktuelle geopolitische Lage: „Auch wenn ich heute Abend am liebsten über Frieden sprechen würde, herrscht gerade auf der Welt ein furchtbarer Angriffskrieg.“ Er betonte, dass es sich beim Konflikt in der Ukraine nicht um einen einfachen Krieg handle, sondern um einen brutalen Angriffskrieg – ein Statement, das vom Publikum mit Applaus bedacht wurde.
Das Interview begann mit einer provokanten Frage: „Sollten Sie nicht besser Kanzlerkandidat werden anstatt Olaf Scholz?“ Pistorius konterte mit Humor: „Das Einzige, was ich definitiv ausschließen kann, ist, dass ich noch Papst werde.“ Seine schlagfertigen Antworten sorgten wiederholt für Lacher im Publikum, etwa als er auf eine Bemerkung Kolls, er habe bereits viele Fragen im Voraus beantwortet, erwiderte: „Dann können wir ja über Fußball sprechen.“
Pistorius, der seit zwei Jahren Deutschlands beliebtester Politiker ist, erläuterte, dass seine Beliebtheit als Verteidigungsminister vor allem daher rühre, dass er die Dinge offen anspreche. „Wenn mich das beliebt macht, habe ich einen guten Teil meiner Arbeit schon erledigt.“
Ein zentraler Punkt der Diskussion war der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Pistorius betonte, dass es Europa ein Anliegen sein müsse, die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren – unabhängig davon, welche Entscheidungen die USA in Zukunft treffen könnten. Dennoch müsse die Ukraine letztlich selbst über Friedensmodelle entscheiden. Pistorius forderte zudem, dass Europa gemäß seiner Leitprinzipie optimistischer, realistischer und mutiger agieren müsse, gerade angesichts des US-amerikanischen Trends von Trump zu Protektionismus und geopolitischer Neuorientierung.
Ein weiterer Fokus lag auf der Finanzierung und den Herausforderungen der Verteidigungspolitik. Pistorius machte klar, dass das aktuelle Sondervermögen von 50 Milliarden Euro allein nicht ausreiche, um die Bundeswehr zukunftsfähig zu machen. „Mindestens 80 bis 82 Milliarden Euro jährlich wären notwendig, um die Verteidigungsausgaben zu decken.“ Dabei verwies er auf die Notwendigkeit einer langfristigen Planung, gerade mit Blick auf die NATO und potenzielle Bedrohungen durch Russland in den kommenden Jahren.
In der abschließenden Fragerunde wurden Themen wie Chinas wirtschaftliche Macht, die Transformation der Bundeswehr und die Rolle von Reservisten diskutiert. Prof. Dr. Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung brachte zudem die Herausforderungen durch Desinformation und populistische Bewegungen wie die AfD ins Gespräch.
Mit klaren Positionen und gelegentlichen humorvollen Bemerkungen gab Boris Pistorius einen Einblick in die komplexen Herausforderungen Europas und Deutschlands in einer zunehmend instabilen Weltordnung. Theo Koll selbst meinte zu Pistorius, er müsse Optimist sein, dass er dieses Amt weiterhin ausfüllen will. Die Veranstaltung endete mit einem Ausblick auf kommende politische Aufgaben, bevor Pistorius weiter nach Brüssel reiste.
Bilder: Michelle Schramm