Gewerkschaft kritisiert: Lohndumping an der Uni

Studentische Hilfskräfte müssen schwerpunktmäßig im wissenschaftlichen Betrieb arbeiten. Eigentlich. Die Universität Passau jedoch stellt Student*innen in Verwaltung, im Rechenzentrum oder in der Bibliothek als Hilfskräfte ein. Die Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) und die Linke bezeichnen diese Arbeitsverhältnisse als rechtswidrig. Die Pressestelle der Uni gibt sich wortkarg. 

Unter einem roten Pavillon auf dem Mensavorplatz steht ein Tisch. Auf diesem liegen Stifte, daneben ein Klemmbrett mit Listen. Mitglieder der GEW sammeln im Mai auf dem Campus der Universität Passau Unterschriften, um Druck auf die Unileitung aufzubauen.

Streiks am Flughafen, bei der Bahn oder im Baugewerbe sind nichts Neues. Nun hält der Arbeitskampf Einzug in niederbayerische Universitäten und Hochschulen. Im November letzten Jahres demonstrierten 900 Gewerkschaftler*innen in Passau, darunter Beschäftigte der Universität und des Studentenwerks. An der Technischen Hochschule Deggendorf kam es zum ersten Streik in der 30-jährigen Hochschulgeschichte. Damals forderten die Gewerkschaften 10,5 Prozent mehr Lohn für alle Beschäftigten der Länder. 

Gut ein halbes Jahr später geht die GEW mit einem schweren Vorwurf gegen die Uni in Passau an die Öffentlichkeit. Viele von der Uni als studentische Hilfskräfte angestellte würden keine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben. Sie fielen somit in den Geltungsbereich des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und hätten Anspruch auf mehr Lohn, Zuschläge, Inflationsausgleich und mehr Urlaub. „Rechtswidrige Beschäftigung stoppen“, überschreibt die Gewerkschaft einen Post auf Instagram Anfang Mai. Die Uni beschäftige etwa 170 Studierende in einem rechtswidrigen Arbeitsverhältnis, heißt es darin.

Die Zahl bestätigen will oder kann die Presseabteilung der Universität auf Anfrage nicht. Auch die Frage zur Gesamtzahl der studentischen Beschäftigten an der Uni lässt sie unbeantwortet. Lediglich eine knappe Stellungnahme schickt sie. In dieser wird Unikanzler Achim Dilling zitiert. Die Pressemitteilung der GEW sei zur Kenntnis genommen worden, heißt es. „Sollten sich in Einzelfällen Anhaltspunkte für die in der Pressemitteilung formulierte Behauptungen im Anstellungsverhältnis von studentischen Beschäftigten zeigen, werden wir diese prüfen.“ Eine Anfrage im Bayerischen Landtag der Grünen-Abgeordneten Verena Osgyan bringt Zahlen an die Öffentlichkeit: Zum Jahreswechsel beschäftigte die Universität Passau 658 studentische Hilfskräfte, davon 192 in der Verwaltung und 45 in den Bibliotheken.

Die Kritiker*innen der Uni zeigen mehr Gesprächsbedarf als die Pressestelle. Zu dritt erscheinen sie trotz Feiertag zum vereinbarten Gesprächstermin an Christi Himmelfahrt auf dem Campus: Juri Biswas, Angestellter in der Universitätsverwaltung; Luke Hoß, Kreisvorsitzender der „Linken“ Passau und GEW-Mitglied; sowie Lea Dahms, Passauer Kreisvorsitzende der GEW.

Der 26-jährige Biswas, auch er ist GEW-Mitglied, zeigt seinen Arbeitsvertrag. „Offiziell bin ich als studentische Hilfskraft gelistet und muss wissenschaftliche Tätigkeiten erbringen“, sagt er. Er verdient seit diesem Sommersemester 13,25 Euro pro Stunde, zuvor Mindestlohn. Die Gehaltserhöhung wurde in der letzten Tarifrunde ausgehandelt, sowie eine Vertragsmindestlaufzeit von einem Jahr. Aber einen eigenen Tarifvertrag für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte gibt es bislang nur in Berlin (TVStud).

Die Krux daran: Biswas übt in der Verwaltung keine wissenschaftliche Hilfstätigkeit aus. Lea Dahms hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie hat anderthalb Jahre für die Universitätsbibliothek gearbeitet. „Dort sitze ich an der Theke, scanne Bücher ein und aus. Manchmal räume ich sie ins Regal zurück und beantworte Fragen“, schildert die 24-Jährige den Job. Das sei nicht wissenschaftlich. Außerdem würden bis 16 Uhr Festangestellte in der Bibliothek arbeiten, die nach Tarifvertrag bezahlt werden. „Wo ist der Unterschied?“, fragt Dahms. Die studentischen Angestellten, auch in der Verwaltung und im Rechenzentrum, müssten demnach auch den Tariflohn bekommen. „Die Uni macht es aber einfach nicht“, sagt sie resigniert. 

„In Verträge kann man vieles reinschreiben“, sagt Severin Muthmann. Er ist Passauer Anwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht. Bibliotheksaufsicht oder Verwaltungstätigkeiten mit einer Klausel im Arbeitsvertrag zu wissenschaftlichen Hilfstätigkeiten zu erklären, sei „natürlich quatsch“. Es komme darauf an, welchen Tätigkeiten die Beschäftigten tatsächlich nachgehen. Die Chancen von klagenden Studierenden vorm Arbeitsgericht schätzt der Jurist als „nicht aussichtslos“ ein. Sein Tipp: „Bevor man den Rechtsweg beschreitet, sollte man eine genaue Dokumentation der geleisteten Tätigkeiten als Nachweis haben.“

Die GEW habe mit der Unileitung in den vergangenen Wochen losen Kontakt gehabt, erzählt Biswas. Dort würden unterschiedliche Ansichten herrschen. Einsichtig zeigte sich die Uni öffentlich gegenüber der Gewerkschaft bislang nicht. „Im Gegenteil. Es wurde gesagt, was wir behaupten, sei falsch“, sagt Dahms. Mit dem Vorwurf würde die Gewerkschaft die Uni kriminalisieren, soll es von Seiten der Uni heißen. Dass diese rechtswidrig handele, könne gar nicht sein. 

Wie Dahms arbeitete Biswas in der Unibibliothek. Die Nachtschichten gehen bis 24 Uhr. Als er einen Vorgesetzten wegen Nachtzuschlag ansprach, soll dieser nur auf den gestiegenen Mindestlohn verwiesen haben. Außerdem sei schon mit „Regensburger Auswirkungen“ gedroht worden. 2018 klagten an der Regensburger Universität erfolgreich studentische Beschäftigte den Tariflohn ein. Die Uni hat danach die Arbeitsverträge der nicht-gewerkschaftlich organisierten studentischen Beschäftigten nicht mehr verlängert. 

Biswas spart nicht mit Kritik an seiner Arbeitgeberin. Löhne seien zu spät gezahlt und Arbeitsverträge verspätet ausgehändigt worden. Diese waren zudem bis zu diesem Semester in der Regel auf wenige Monate befristet. Weshalb die Uni Tarifflucht begeht, bleibt für ihn ein Rätsel. An fehlenden finanziellen Mitteln dürfte es dem Freistaat Bayern nicht fehlen. Die finanzielle Lage an Universitäten sei generell nicht rosig, das 2023 in Kraft getretene Hochschulinnovationsgesetz ermögliche allerdings mehr Spielräume. „Selbst wenn die Universität das Geld nicht hätte, was nicht stimmt, ist das kein Grund, Studierende in prekären Arbeitsverhältnissen anzustellen“, sagt der Student. 

Einzelkämpfertum vermeiden

Bindend ist der Tarifvertrag grundsätzlich nur für Arbeitsverträge von Gewerkschaftsmitgliedern. Sie können das Gehalt bis zu sechs Monate rückwirkend einklagen, wenn sie unter dem Tarif bezahlt wurden. Juri Biswas entschied sich für diesen Schritt. Nachdem die Uni seine Geltendmachung abgelehnt hat, wandte er sich an die Gewerkschaft. Sie gewährt ihm Rechtsschutz und reicht für ihn eine Klage ein. „Ich hätte mir einen anderen Weg gewünscht“, sagt Biswas.

„Einzelkämpfertum“ will die Gewerkschaft allerdings vermeiden. „Wir wollen, dass es alle besser haben“, sagt Lea Dahms. Positivbeispiel sei Potsdam. Dort protestierten vor sechs Jahren wissenschaftliche Hilfskräfte. Eine Studentin klagte erfolgreich für eine Vergütung nach Tarifvertrag. Die Gewerkschaft setzt in Passau deshalb auf Öffentlichkeitsarbeit, damit die Universität den Forderungen nachkommt. Über 400 Unterschriften von Universitätsangehörigen hat die GEW laut eigenen Angaben bereits gesammelt. Außerdem initiierte die Gewerkschaft einen offenen Brief, den bereits über 14 Hochschulgruppen unterzeichneten.

Ein weiteres Ziel der Gewerkschaft ist ein Tarifvertrag eigens für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte, die vom TV-L ausgeschlossen sind, den sogenannten TVStud. „Es war auch Ziel diesen zu erkämpfen im Rahmen der Tarifverhandlung“, sagt der 22-jährige Luke Hoß, Linken-Kreisvorsitzender und Student. Die Forderung nach diesem Tarifvertrag war zentral bei der Demo im letzten Herbst. Noch ist der große Wurf aber nicht gelungen. 

Herr Biswas bei seiner Rede auf einer Demonstration im November

Die Bilder der Demo sind von November vergangenen Jahres und wurden Korbinian Strohhuber von der GEW für Presseberichterstattung zur Verfügung gestellt.