Lieder einer versunkenen Welt – Die Uraufführung des Musicals „Echoes of Atlantis“

Die meisten Studierenden gestalten ihre Freizeit mit Verabredungen in Cafés, gehen ins Kino, lernen in der Universitätsbibliothek oder feiern auf Partys. Nicht Katharina Högl. Die junge Studentin hatte Oktober 2023 die Idee, ein Musical zu schreiben. Erste Textbausteine und Charakterskizzen hier und da- Högls Interesse an Mythologie and alter Geschichte helfen dabei, die Puzzleteile Stück für Stück zusammenzusetzen. Die Legende um das versunkene Atlantis stellt den Grundstein der Idee dar, auf welcher das Stück „Echoes of Atlantis“ ruht.

„Aber Moment… was mache ich denn zum Schluss damit?“, fragt sich die Studentin schließlich ein wenig ratlos. Zufälligerweise steht die Musicalleitung von der Hochschulgruppe aMusical, Michelle Schramm, in dieser Zeit vor einem ähnlichen Problem: Das Stück für die nächste Produktion fehlt. Ein Vorteil der überschaulichen Theaterszene in Passau: Schramm und Högl kennen sich aus gemeinsamen Projekten schon seit ein paar Jahren. Ab Dezember 2023 arbeiten sie gemeinsam nun auch musikalisch an „Echoes of Atlantis“. Schramm ergänzt geschickt die melodischen Ansätze Högls und schreibt passende Noten zu den englischen Texten. Im Frühling 2024, pünktlich zum Sommersemester, veröffentlichen die beiden den Aufruf zum Casting.

Darum geht es im Stück: Als Kinder geben sich die Geschwister Ainías und Aristéa das Versprechen, immer für einander da zu sein. Die beiden wachsen in ärmlichen Verhältnissen auf. Während Aristéa (Anzhelika Davidian) verzweifelt versucht, für die beiden zu sorgen, lebt der Atlanter Ainías (Anna Lena Unsöld) sorglos in den Tag hinein. Was kümmern ihn schon finanzielle Probleme oder sein Ansehen im antiken Atlantis? Auf dem Marktplatz stehlen er und seine Freunde Iáson (Katharina Högl) und Ekphantos (Josephine Adam) Äpfel, um den Hunger zu stillen. Mit dem Lied „Living Life“ besingt das Chaos-Trio die Schönheit eines Lebens frei von jeglichen Verpflichtungen. Etabliert wird die Szene durch reichlich bedeckte Tische, beladen mit Teppichen, Schriftrollen, Büchern und goldenen Tellern. Als die jungen Atlanter beobachten, dass die Soldaten aufgrund ihres Status viele der angebotenen Produkte kostenlos bekommen, findet in ihren Köpfen ein Umdenken statt. Mit „Inducing Change“ fiebern sie einer besseren Zukunft entgegen, wollen ihr Leben und den Weg zu Ruhm und Ehre selbst in die Hand nehmen. Gemeinsam beschließen sie, Soldaten zu werden und beginnen, die Truppe auszuspionieren. Aristéa ist alles andere als begeistert von Ainías Plan und beklagt in „I need your help“, Ainías hätte das Versprechen vergessen. Aufhalten kann ihn die stimmgewaltige Anzhelika Davidian allerdings nicht.

Obwohl die mit Schwertern trainierenden Soldaten (Mia Lotta Rix, Sofia de Alberto Ehlers, Jean Pascal Schein, Cheyenne Christmann) auf der anderen Seite der Bühne hoch konzentriert üben, funktioniert das choreographierte Verstecken des Trios nicht sonderlich gut. Sie werden entdeckt und die komödiantisch aufgebaute Szene erntet Gelächter des Publikums. Mit dem Song „I declare you my best friend“ verwickelt Ainías den überforderten Soldaten Aurelios (Cheyenne Christmann) geschickt in ein Gespräch und überzeugt ihn davon, ihn beim Commander vorzustellen. Als sich die drei Freunde schließlich wieder beraten, werden sie sich uneinig: Das ständige Trainieren scheint zu viel für Ekphantos zu sein, der sich zügig gegen den Eintritt in die Armee entscheidet.

In einem Rückblick erfährt das Publikum durch „Proud“, dass Ainías Mutter (Teresa Neißendorfer) Angst um die Zukunft ihres Sohnes hat, der sich wiederum sehnlichst wünscht, dass sie eines Tages stolz auf ihn sein könne. Die gefühlvolle Darbietung Neißendorfers rührt die Herzen des Publikums. Das liegt auch an den ausgefeilten Regieanweisungen der beiden Autorinnen des Stückes, die so für eine gesunde Balance zwischen lustigen und tragischen Szenen sorgen.

Nach wenigen Begegnungen auf dem Markplatz ist der Tag gekommen, an dem Aurelios Ainías und Iáson zum Trainingsplatz führt. In einem hitzigen Übungskampf werden die Grundkenntnisse der jungen Bewerber getestet. Auch dieser sorgt für Lachen im Publikum, da die beiden Neuankömmlinge in wenigen Sekunden entwaffnet werden. Der ehrfurchtsvolle Commander (Anja Gordyaeva) nimmt die beiden trotzdem in die Armee auf. Dazu müssen sie nur einen Eid schwören. Strahlend singt Ainías dem Commader die Zeilen nach und lässt dabei wohl versehentlich den letzten Satz „and I promise not to break it“ aus.

Als er nach seinem ersten Tag als Soldat freudestrahlend nach Hause kommt, ist seine Schwester mehr als schockiert. „Are you out of your mind?!“ fragt sie ihn entrüstet und lässt im Song „Your frailties“ ihren aufgestauten Gefühlen freien Lauf.  Es scheint, als würde das Stück langsam aber sicher von der komödiantischen Seite auf die dramatische wechseln.

Wenig später ist die Aufregung unter den Soldaten groß: Die Athener greifen an! Ainías macht sich nach Aufruf des Commanders aus dem Staub, um eben diese auszuspionieren – offiziell. Doch eine angreifende Armee ist nur ein nebensächliches Problem für die Insel, die wohl Poseidons Zorn auf sich gezogen hat. In „Ocean Grave“ besingt Aristéa herzzerreißend ihr Gefühl, in Verzweiflung unterzugehen. Dass sich in diesem Moment nicht nur metaphorisch, sondern wirklich Wellen aufbauen, macht ihre Situation nicht besser. Denn dann geht plötzlich alles ganz schnell: Die Erde bebt, Wassermaßen überschwemmen Atlantis, die auf der Bühne aufgebauten Säulen stürzen ein. Die dramatische Situation wird durch helle Lichteffekte und stark rhythmisierte Percussions unterstrichen. Mehrere Soldaten schleppen Sandsäcke an den Bühnenrand, um sich vor den anbahnenden Wassermaßen zu schützen. Ihre Rufe „Gods hear us, help us, save us“ treffen auf taube Ohren. Nacheinander sacken sie zusammen und geben sich ihrem Schicksal hin. Der so lustig begonnene erste Akt endet mit dem Untergang von Atlantis.

In der Pause wird das liebevoll gestaltete Bühnenbild von Grund auf verändert. Drei gewaltige Leinwände bilden den Hintergrund der relativ kleinen Bühne ab. Die Abbildungen der Häuser, Wälder und Skulpturen wurden von Katharina Högl selbst skizziert, bevor sie vom Cast von Hand farbig bemalt wurden. Die detailreichen Anfertigungen sowie die Einhaltung eines klar abgrenzbaren Farbschemas sind zu loben. Mithilfe der Leinwände werden die beiden Orte, Atlantis und Athen, auf der Bühne etabliert.

Der zweite Akt beginnt mit einem unwissenden Ainías, der fröhlich singend durch die Zuschauerreihen schlendert. Auf der Bühne herrscht reges Treiben, denn in Athen ist Wochenmarkt. Während Ainías seinen Gewohnheiten, dem Stehlen von Äpfeln und der Sorglosigkeit, nachgeht, tauschen sich die Bürger über kursierende Gerüchte aus. Es heißt, Atlantis sei untergegangen. Aber wie? Waren die Atlanter zu gierig, zu reich? Oder wurde Atlantis wirklich von einer modernen Kriegswaffe versenkt, wie es der Bürger im gelben Gewand (Sofia de Alberto Ehlers) stur behauptet?  In einem Punkt sind sich die Athener sicher: Atlantis ist Vergangenheit, über den Krieg müssen sie sich keine Sorgen mehr machen. Während sie ihren Geschäften nachgehen, bricht Ainías Welt zusammen. Versucht er im Song „People speaking“ noch das Gegenteil Realität werden zu lassen, so lässt ihn die Erkenntnis des Unglücks in der Ballade „Sunken land“ auf die Knie sinken. Nacheinander verschwinden die Darsteller:innen von der Bühne und Ainías bleibt mit seiner Traurigkeit allein zurück. Mit dem von einer Gitarre dominierten Klagelied „Buried in an ocean grave“ ziehen Anzhelika Davidian und Anna Lena Unsöld das Publikum in ihren Bann. Doch auch nach dem ruhigen, melancholischen Song kann Ainías den Gerüchten und Stimmen der Bürger nicht entfliehen. Er versucht sie richtig zu stellen- doch wie, wenn ihn keiner ernst nimmt?

Durch seine extrovertierte Art schafft er es, mit dem genervten Jungen Aischylos (Mia Lotta Rix) ins Gespräch zu kommen. Nach mehreren Versuchen überzeugt Ainías ihn schließlich, ihm zu helfen. Doch es ist nicht leicht, gleichzeitig mit Trauer, Schuldgefühlen und Hoffnung umzugehen. Die Geister der Verstorbenen verfolgen ihn in seinen Träumen, die Gerüchte halten sich bis zum Ende felsenfest und wo muss man überhaupt anfangen, wenn man die wahre Geschichte erzählen und alles richtig stellen will?

Die Motive Freundschaft, Loyalität, Trauer und Hoffnung zeichnen das Stück aus. Die beiden Hauptdarstellerinnen porträtieren eine realistische Charakterentwicklung und die teils konfusen Gefühlszustände der Rollen famos. Ebenfalls überzeugt der gesamte Cast mit ihren facettenreichen Charakteren. Die sorgfältig ausgewählten Kostüme und Requisiten unterstreichen diese zusätzlich. Schramm und Högl erwähnen, dass vieles in Eigenarbeit entstand. So etwa auch die antiken Ledersandalen der Darsteller:innen oder Speere und Schilder, die einzig für die Aufführungen angefertigt wurden. Auch wenn die Musik aufgrund von externen Hindernissen, wie etwa einer Malfunktion des Tonstudios, etwas spärlich ausfallen musste, ist die größere Vision des Stückes deutlich erkennbar.

Die Gruppe durfte am 10.12.2024 in der Kulturcafete der Universität Passau unter großem Beifall ihre Uraufführung feiern. Weitere Aufführungstermine waren der 12.12, 13.12 und 14.12.

Die beiden Autorinnen nach erfolgreichen Aufführungen

Alle Bilder wurden von Helena Röser und Nadine Reitmaier gemacht.