Interview mit Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann 

In einem Exklusivinterview mit Frau Strack-Zimmermann sprechen Nele Gregor und Celine Kaufmann mit ihr über „Hate auf Social Media“ und welche Auswirkungen er auf die politische Kommunikation hat. 

Foto: Celine Kaufmann

Celine Kaufmann: Wir wollen heute mit Ihnen über Hate im Internet sprechen. Wir studieren beide Journalismus und strategische Kommunikation und werden dabei auch in vielen Kursen mit Social Media etc. konfrontiert. Wie nehmen Sie die Veränderungen – vor allem in der politischen Kommunikation – wahr, seitdem der Wandel der Medien durch Social Media so verstärkt wurde?

Strack-Zimmermann: Das ist eine spannende Frage, weil ich mich gerade noch über bekannte und erfolgreiche Politikerinnen und Politiker vor 10, 20, 30, 40 Jahren unterhalten habe. Oft wird gesagt, dass als der oder diejenige das noch gemacht haben, alles anders war. Es gab damals kein Social Media. Das ist ja auf der einen Seite unglaublich hilfreich – das brauche ich Ihnen nicht zu sagen – aber es erfordert natürlich, dass Politik auf mögliche Fragen, die stündlich oder minütlich auftauchen, sehr schnell antworten muss. Das führt dazu, dass sowohl Journalistinnen wie Sie, es später auch einmal erleben werden, dass etwas passiert und eine Redaktion vom Radio oder Fernsehen oder auch im Netz sehr schnell eine Antwort erwartet. Das heißt, dass die politischen Entscheidungsträger sehr schnell Antworten auf komplexe Themen geben müssen, die man eigentlich noch nicht geben kann. Jeder ist getrieben. Der Zeitfaktor führt dazu, dass nicht richtig hingehört wird und hinzu kommt auch noch, dass auf Social Media unglaublich viel Scheiß – mit Verlaub – geschrieben wird. Hate Speech, Fake News, Reden oder Texte, die durch Technik aus dem Kontext gegriffen werden, verändern die Realität. Ich gehe so weit zu sagen, dass, wenn wir das nicht irgendwie sortiert bekommen durch mehr Bildung, dann glaub ich auch, dass kaum noch jemand bereit sein wird Politik zu machen, weil man eben immer getrieben ist. 

Celine Kaufmann: Wie wichtig ist Ihnen Ihre Medienpräsenz auf Social Media?

Strack-Zimmermann: Für mich ist das natürlich wichtig, denn ich habe jetzt seit 1990 ein Mandat und war früher darauf angewiesen, dass ein Journalist oder eine Journalistin mich sieht, mich wahrnimmt und über mich schreibt. Wenn es gut lief, wurde etwas Nettes geschrieben, wenn nicht, dann konnte ich noch so viel tun, aber wenn die Presse das nicht aufnahm, habe ich auch oft gehört, dass man nichts von mir höre, obwohl mir die Zunge auf dem Boden hing. Das ist heute anders. Ich kann mich erstens selbst im besten Sinne darstellen, meine Meinung zu Dingen ungefragt äußern, diese Dinge auch ungefragt einordnen und kann mir natürlich eine Medienpräsenz verschaffen, ohne zwingend den Flaschenhals „Presse“ durchqueren zu müssen.

Dann ist nur noch die Frage, ob man unangenehm oder weniger unangenehm auffällt, aber man kann selbst mehr lenken, wird dadurch natürlich wahrgenommen und bekommt unter Umständen auch Anfragen von Menschen, die einen sonst gar nicht gefunden hätten. Also zum Beispiel, wenn ich heute auch in Kanälen bin, wo 15-16-jährige sind, die nicht auf eine mitte-60-Jährige gewartet haben, verschafft mir das Öffentlichkeit – mit all den Nachteilen natürlich und allem, was ich im Netz so über mich lese – gut. Schlag ein Ei drauf! – aber das ist natürlich die andere Seite. 

Celine Kaufmann: Sie waren ja auch bei World Wide Wohnzimmer, was ja eigentlich eher ein Format ist, was unsere Altersgruppe anschaut. Bringt das auch eine gewisse Transparenz mit sich und eine Nähe zu den Bürgern, wenn Sie an solchen Formaten teilnehmen, oder gab es dafür andere besondere Hintergründe, wieso Sie genau das Format gewählt haben?

Strack-Zimmermann: Ich muss dazu sagen, ich bekomme sehr unterschiedliche Anfragen und kannte das gar nicht. Ich bin natürlich auch nicht die Zielgruppe. Ich fand es spannend, weil die beiden Protagonisten aus Düsseldorf, also meiner Heimat kommen und mein 30 Jahre jüngerer Pressesprecher, der das alles kennt, das für mich eingeordnet hat und meinte, dass ich es machen solle. Natürlich gibt es auch Formate, die ich nicht mitmache, aber wenn er mir dazu rät und meint, dass ich das kann und damit klarkomme, dann mach ich das. Natürlich muss man dafür aber auch schlagfertig sein und den passenden Humor mitbringen, um sich in bestimmte Formate zu begeben.

Nele Gregor: Glauben Sie das Hate auf Social Media schon seinen „Peak“ erreicht hat oder denken Sie, da geht noch mehr?

Strack-Zimmermann: Ich glaube, dass der Peak erreicht ist, denn das, was ich lese und höre über mich persönlich, das kann man gar nicht mehr toppen. Wenn man jemand Ermorden oder Vergewaltigen will, ist das nicht zu toppen.
Ich glaube allerdings es ist dann zu toppen, denn der Weg von höher, höchster Aggression – bei Frauen auch sehr stark sexualisiert – auch dazu führen kann, dass nach harten Worten eine Tat folgen kann. Was ich damit sagen möchte, wenn Sprache anfängt sich hart zu radikalisieren, ist der nächste Schritt auch mal, zuzuschlagen. Oder man bewegt sich nur auf Netflix und auf anderen Settings, wo man brutale Spiele sieht. Ich glaube das macht etwas mit den Leuten. Ich glaube, deswegen müssen wir gemeinsam versuchen, einen Weg zu finden, wie wir aus dieser Spirale rauskommen.

Nele Gregor: Glauben Sie dann, das Hate gegen Frauen schneller gewaltsamer werden kann als gegen Männer?

Strack-Zimmermann: Ich habe Kolleginnen, die behaupten das sei so. Ich lese auch manche Kommentare, die bestimmte soziale Gruppen betreffen. Also, wenn jemand Migrationshintergrund hat, wenn jemand jüdischen oder muslimischen Glaubens oder zum Beispiel homosexuell ist. Das ist ein noch stärkerer Trigger. Wenn man beispielsweise als Frau lesbisch ist oder aus einem anderen Land kommt, gibt es sozusagen diese Trigger-Momente und ich glaube, dass man sich darüber im Klaren sein muss, dass das Gewalt auslösen kann. Da sind wir dann gefordert, uns zu diesen Vorgängen selbst sprachlich zu mäßigen. Denn manchmal hat man ja auch selbst etwas auf den Lippen, wo man dann sagt: „Nein, ohhhhmm, nicht machen.“ 

Nele Gregor: Wie verändert der Hate die politische Kommunikation? 

Strack-Zimmermann: Sie werden natürlich nie verhindern können, dass Menschen aus nichts viel machen, indem man einfach manipuliert. Aber es muss einem klar sein, dass, wenn man sich artikuliert, es immer Leute gibt, die sagen: „super, toll!“ oder das Gegenteil sagen: „Oh, ich kotze!“ und das ist noch „milde“.

Aber dieser Hass führt dazu – und das ist auch meine persönliche Sorge – dass junge Menschen wie Sie, keine Lust mehr auf Politik haben. Viele träumen davon, Influencerin zu werden und alle sollen mich ganz toll finden. Sie können sich aber nicht vorstellen, dass dieses „toll sein“ zu 100 Prozent irgendwann umschlagen kann. Es wird Menschen geben, die ihr das nicht gönnen, oder die sagen: „Du blöde Nuss, wie siehst du eigentlich aus?“ also wer sich derart produziert – und das meine ich nicht negativ – muss damit rechnen, dass er ganz harten Gegenwind bekommt. Ich glaube, das macht was mit den Menschen.

Nele Gregor: Dann vielen Dank Frau Strack-Zimmermann, das wären von unserer Seite alle Fragen an Sie.

Strack-Zimmermann: Das ist übrigens interessant, ich habe Kommunikation studiert, vor 40 Jahren in München und habe eine Doktorarbeit geschrieben über die Text-Bild-Schere. Das war seinerzeit nur eindimensional das Fernsehen, das Digitale fing da gerade erst an. Ich habe für meine Arbeit Sender gewählt wie das „heute JOURNAL“ und das „auslandsjournal“. Das waren Sendungen, die heute noch sehr hohe Einschaltquoten haben. Wenn in der Sendung über Menschen gesprochen wird und deren Politik und das Ganze durch Bilder verdeutlicht wird, war die Bildauswahl schon vor 40 Jahren ein Riesenthema. Das wäre dann so, wie wenn in einer Sendung der Name Strack-Zimmermann fallen würde, Panzer fahren vorbei oder es würden Menschen in Blut liegen. Diese Text-Bild-Schere haben wir in München schon vor 40 Jahren am Institut für Kommunikationswissenschaften untersucht. Und dieser Zusammenhang gilt mehr denn je, weil sie technisch Einfluss auf die einzelne Bilddarstellung nehmen können, sie können Bilder eben auch „verhunzen“. 

Bei mir kommt hinzu, wenn sie sich mit Verteidigung beschäftigt, beschäftigen sie sich mit Waffen mit Krieg und Frieden. Mit all den Dingen, mit denen man, das versteh ich auch, eigentlich nichts zu tun haben will. Wir wollen friedlich miteinander leben, aber die Realität ist eine andere.

Und das triggert bei Männern natürlich, „wieso ist die Alte da, wieso macht sie das?“ Ich war nie bei der Bundeswehr, weil ich in einem Jahrgang war, wo ich noch gar nicht zur Bundeswehr konnte. Da kommen dann auch so Macho-Vorstellungen auf, dabei gibt es in der Sicherheitspolitik extrem viele Frauen, die heute Anfang, Mitte dreißig sind und die in diesem Bereich aktiv sind. 

Nele Gregor: Jetzt doch noch eine andere vorsichtige Frage. Glauben Sie, wenn Sie ein Mann wären, würden Sie weniger Hate erfahren?

Strack-Zimmermann: Ich glaube ja. Ich gebe ihnen einen Rat, wenn ich das tun darf: Vielleicht wäre es, wenn ich ein Mann wäre, anders. Das ist durchaus möglich, weil man Männer mit Krieg und rustikalen Dingen eher in Verbindung bringt. Aber es wäre fatal zu glauben, wenn der Kollege etwas bekommt, obwohl sie wissen, dass sie viel besser sind, zu sagen: „Ach das kriege ich ja jetzt nur nicht, weil ich eine Frau bin.“ Nie in die Opferhaltung gehen, nie sagen: „Das ist ja nur weil ich eine Frau bin.“ Denn wer sich klein macht, wird klein gemacht. Ganz selbstbewusst sein.

Nele Gregor: Dann sagen wir Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. 

Strack-Zimmermann: Ich bedanke mich für ihr Interesse!