Krebsforscherin Prof. Dr. Özlem Türeci sieht in der Immuntherapie die Zukunft der Krebstherapie. Darüber hat sie am 15. November bei der letzten Veranstaltung der diesjährigen Vortragsreihe “Menschen in Europa” der Passauer Neuen Presse gesprochen. Diese Podiumsdiskussion moderierte Anouschka Horn, Fernsehmoderatorin des Bayerischen Rundfunks.
Die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Krebsforschung: Eine Pionierin spricht“ eröffneten die stellvertretenden Chefredakteure der PNP, Alexander Kain und Martin Wanninger, im Namen der Mediengruppe Bayern mit einem Vorwort. Anschließend kamen die beiden Frauen des Abends unter heftigem Applaus auf die Bühne. Anouschka Horn zählte zu Beginn mögliche Themen auf, um die sich der Abend drehen könnte. Eines stellte Prof. Dr. Özlem Türeci gleich zu Beginn klar: Man dürfe mit ihr über alles sprechen – bloß nicht über Corona. Damit brachte die Wissenschaftlerin, die Martin Wanninger zuvor als Hoffnungsträgerin beschrieb, bereits die ersten Menschen im Publikum zum Schmunzeln.
Doch auch Anouschka Horn wusste, mit welchen Aussagen sie die Menschen im Auditorium gewinnen konnte. So lautete ihre erste Frage an ihr Gegenüber: „Kann man von einer Art Verzweiflung sprechen, die Sie zur Medizinerin und Wissenschaftlerin gemacht haben?“ Um das zu beantworten, musste die Forscherin erst einmal genauer nachdenken. Es sei für sie als Ärztin in einer hämatologisch-onkologischen Abteilung (Teilgebiet der Inneren Medizin, das sich mit gut- und bösartigen Erkrankungen des Blutes, bösartigen Erkrankungen der Lymphknoten und des lymphatischen Systems sowie bösartigen soliden Tumoren wie Brustkrebs oder Lungenkrebs befasst) sehr frustrierend gewesen, nur sehr begrenzte Optionen zur Behandlung von Krebspatienten zu haben. Zu oft habe sie den Menschen sagen müssen, dass bereits alle therapeutischen Möglichkeiten wie Operation, Chemotherapie und Bestrahlung ausgeschöpft seien. Als dann neue experimentelle Behandlungsansätze aufkamen, die das Potential hatten, die Krebsmedizin zu revolutionieren, starteten Prof. Dr. Özlem Türeci und ihr Mann Prof. Dr. Uğur Şahin (Mitbegründer von BioNTech) eine Art Doppelleben. Tagsüber arbeiteten sie im Krankenhaus bei den Patient:innen, abends und an den Wochenenden im Labor. Ihre größte Frage war: “Wie können wir diese Erkenntnisse vom Labor ans Patientenbett bringen?”
BioNTech, ursprünglich ein kleines Mainzer Unternehmen, wurde vor allem durch seine rasante Herstellung eines Covid-19-Impfstoffes bekannt. Doch eigentlich beschäftigen sich die Forscher:innen dort seit fast drei Jahrzehnten mit der Entwicklung einer Immuntherapie gegen Krebs. Dieses Wissen über die Krebsimpfstoffe bildete auch die Grundlage für die Corona-Impfstoffe.
Prof. Dr. Özlem Türeci versuchte, ihre Arbeit an diesem Abend der Allgemeinheit verständlich zu machen. In einem Interview mit der Mediengruppe Bayern sagte sie Folgendes: „Wir haben immer daran geglaubt, dass wir das Immunsystem mit all seinen verschiedenen Schichten der Abwehr auch gegen Krebs richten können, wenn wir ihm vermitteln können, wie der Krebs aussieht, um so das Immunsystem gegen die Krebszellen aktivieren zu können.“ In diesem Kontext zog sie einen Vergleich mit einem E-Mail-Programm, das automatisch Spam-Mails aus dem Posteingang herausfiltern kann. Sie nutzen mit mRNA eine der ältesten Informationstechnologien, um mit dem Immunsystem zu kommunizieren.
Seit 2012 haben die Forscher:innen bei BioNTech klinische Studien an 400 Krebspatienten im Rahmen der Immuntherapie durchgeführt. Die Schwierigkeit dabei sei, dass jeder Tumor personalisiert ist, weshalb auch jede Impfung personalisiert werden müsse, erläuterte Türeci. Im Zuge dessen biete sich die mRNA-Impfung gegen Krebs an, weil sie schnell abgebaut wird, flexibel ist und weil der gleiche Herstellungsprozess für verschiedene Erkrankungen und Patienten genutzt werden kann.
Die größte Herausforderung in dieser Forschung ist, dass Krebs eine sehr komplexe Krankheit ist. Im Vergleich dazu sei Covid ziemlich einfach, erklärte Prof. Dr. Özlem Türeci. Deshalb sei der Prozess der Medikamentenentwicklung schwer und langwierig.
Doch die Wissenschaftlerin gab sich zuversichtlich, wenn auch sehr vorsichtig, als sie auf die Hoffnung auf Heilung angesprochen wurde. BioNTech hat sich in den folgenden Jahren einige Ziele gesteckt, unter anderem die Früherkennung von einigen Krebsarten durch Blutuntersuchungen. Damit kann man einen Tumor entdecken, solange er noch klein ist. Prof. Dr. Özlem Türeci sieht die Immuntherapie als Zukunft und erwähnte bei der Podiumsdiskussion die geplante Zulassung erster Impfstoffe noch vor dem Jahr 2030.
Zuletzt sprach Anouschka Horn doch noch das Tabuthema Corona an. Sie wollte von der Professorin wissen, wie sie den kommenden Corona-Winter einschätzt. Diese finde es jedoch schwierig, Vorhersagen zu machen. Dennoch betonte sie, dass es dringend notwendig sein werde, angepasste Impfungen für die momentan dominante BA.5-Variante herauszugeben.
Der Abend endete mit einem tosenden Applaus aus dem ausverkauften Auditorium. PNP-Verlegerin und MiE-Organisatorin Angelika Diekmann überreichte Türeci und Horn als Präsent jeweils eine Briefmarke mit ihrem jeweiligen Konterfei darauf und einen Blumenstrauß. Man kann nur gespannt sein, wie sich die Krebsforschung weiter entwickelt. Nach Türeci ist der Weg nicht einfach, aber der Anfang gesetzt.